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Villenumbau in Hamburg

Hamburg gilt als Inbegriff der hanseatischen Lebensweise und ist eine Stadt, die trotz einiger negativer Schlagzeilen immer noch zu den lebenswertesten Städten in Europa zählt. Vom früheren Reichtum der hanseatischen Kaufleute zeugen noch heute großartige herrschaftliche Villen, die sich vor allem in einigen Vorzugswohngebieten ansiedelten. Im Jahr 1906 erbaute ein wohlhabender Kaufmann in einer der vornehmsten Prachtstraßen Hamburgs, der Elbchaussee, eine vornehme Stadtvilla. Im Laufe der Zeit wandelte sich das Stadtbild und damit veränderten sich auch die Bewohner und die Villen, die teilweise im Krieg beträchtlichen Schaden genommen haben. So auch diese Stadtvilla, die ursprünglich ein Turmhaus zierte, das während des Krieges zerstört wurde.

Vor einigen Jahren entschloss sich der jetzige Besitzer, das Haus komplett zu sanieren. Der Dachstuhl wurde umgebaut und Fenster und Fassaden saniert. Hofseitig wurde eine Stahlkonstruktion gebaut, um Balkone an das Haus anzubringen. Selbst das ursprüngliche Turmhaus wurde neu interpretiert. Die Schwierigkeit bestand darin, alle Maßnahmen am Haus mit dem Stadtplanungsamt abzusprechen und von diesem genehmigen zu lassen, schließlich steht die Villa in einer Reihe erhaltungswürdiger Häuser der Elbchaussee – unmittelbar gegenüber der Elbe, auf der sich die großen Überseeschiffe ein ständiges Stelldichein geben. Durch die aufwendige Entkernung und die Einbringung einer Stahlkonstruktion im Dachbereich konnte eine Verbindung zwischen der Elb- und der Hofseite und ein offener Blick durch das gesamte Gebäude hergestellt werden.

Die ursprünglich fast geschlossene Fassade auf der Rückseite des Gebäudes sollte geöffnet werden, um den unverbauten Blick in die umliegenden Villengärten freizugeben und mehr Tageslicht in das Haus einströmen zu lassen. Auf der Hofseite wurde die Stahlkonstruktion auf dem Erker des Erdgeschosses errichtet, um den Anbau von Balkonen zu ermöglichen. Die Stahlkonstruktion wurde bis zur Dachkante hochgeführt, sodass sich ein eigenständiger Raum ergibt. Die rückseitige Fassade sollte von nun an den gleichen Stellenwert einnehmen wie die Vorderfassade. Hier entstand auf dem Erker ein vorgesetztes Glasband, das an das ursprüngliche Turmhaus denken lässt. Die vertikale Gliederung der Glaselemente gewährleistet dabei, dass jedes Element geöffnet und demzufolge funktional von innen gereinigt werden kann. Der Glasaufbau dient neben seiner optischen Qualität vor allem als wirksamer Lärmschutz zur viel befahrenen Elbchaussee. Auf dem Erker zur Elbchaussee entsteht auch hier ein neuer Außenbereich, der durch die umhüllenden Sichtbetonbalken als eigenständiger Raum wahrnehmbar wird. Zwischen die oberen Sichtbetonbalken können im Sommer Sonnensegel gehängt werden. So erhielt die Villa die gewünschte Transparenz: Durch die Glastüren und -⁠brüstungen kann ungehindert Licht und Sonne nicht nur in den Glasaufbau, sondern auch in den dahinter liegenden Wohnraum strömen. Davon abgesehen wurden die Fassaden wieder in ihren ursprünglichen Zustand gebracht. Wie die Fenster erhielten sie eine sehr aufwendige Sanierung, die auch die Stuckarbeiten mit einschloss. Der weiße Anstrich lässt die Fassade in neuem Glanz erstrahlen, sodass sie mit den benachbarten Villen nun eins der Schmuckstücke der Prachtstraße Elbchaussee darstellt. Nicht nur das Äußere der Stadtvilla wurde aufwendig saniert. Damit sich die Stahlkonstruktion im Dachbereich einbringen lässt, musste der Innenraum komplett entkernt werden.

Erst so entstanden die Sichtbeziehungen und fließenden Übergänge zwischen den Räumen, sodass ehemals drei Wohnungen zu einer großzügigen Wohneinheit mit insgesamt 598 Quadratmetern Wohnfläche verbunden werden konnten. Möglich wurde das durch die sogenannte Split-Level-Maßnahme, bei der die unterschiedlichen Wohngeschosse als Halbgeschosse versetzt zueinander angeordnet werden. So lassen sich starke räumliche Beziehungen zwischen den einzelnen Geschossen schaffen. Wenige naturbelassene Baustoffe prägen den Ausbau, trotz allem ist das Ambiente wohnlich und gemütlich. Die massiven 30 Zentimeter breiten Dielen aus dem Holz der Douglasie erhielten eine natürliche Ölversiegelung. Die Dielen sind als klassische Konstruktion auf Lagerhölzer gelegt, darunter wurde eine Fußbodenheizung mit offenen Kupferrohren und Wärmeleitblechen eingebracht. Als Besonderheit ist ein leichtes Knarren beim Begehen des Massivholzbodens zu hören, das an traditionelle Holzböden erinnert. Die Decken wurden mit Gipskarton abgehängt, gespachtelt und gemeinsam mit den Wänden mit Kalkzementputz beschichtet. Anschließend wurden sie gerieben und atmungsaktiv weiß gestrichen. So treten die Decken und Wände in den Hintergrund, um den aufwendigen Holzdielenboden optisch noch mehr in den Vordergrund zu rücken. Die Funktionsbereiche wie Hauswirtschafts-, Abstell- und Lebensmittelraum sind als eingestellte Kuben frei im Raum positioniert und zonieren die Einheit. Temporäre Trennungen der Bereiche sind durch in den Wänden geführte Schiebetüren möglich. Im oberen Split-Level befindet sich das Gästebad sowie Arbeits- und Kinderzimmer. Im unteren Zwischengeschoss ist ein weiterer Raum als Kinder- oder Gästezimmer nutzbar. Im Wohn- und Essbereich flankieren sieben Meter lange Sichtbetonbänke die Raumseiten.

Die steinernen Bänke bilden eine natürliche Einheit mit dem Holzboden. Eine übereck verglaste großflächige Fensterfront bietet im Wohnbereich einen imposanten Panoramablick auf die Elbe. Am Abend scheinen die Lichter der Containerschiffe zum Greifen nahe und tragen zum wohnlichen Ambiente der Villa bei. Dieses wird durch den Holzkamin mit großem Feuertisch und bereitliegenden Holzscheiten genau wie durch die beidseitigen Sitznischen rechts und links neben dem Kamin noch verstärkt. Der traditionelle Holzkamin ist in solch einer betagten Villa ein absolutes Muss. In zentraler Lage im Haus gelegen, ist der Kamin nicht nur dekorativ, sondern ist häufig in Betrieb und ein beliebter Aufenthaltsort. Bis auf wenige Solitäre wurden fast alle Schränke maßgefertigt und in vorher festgelegte Nischen und Ecken eingebaut. Farblich wurden die Schränke den Wänden angepasst, sodass sie fast komplett in der Wand verschwinden. Nur durch minimale Fugen werden die Schrankwände unterteilt. Auf jegliche Griffe wird verzichtet, die Türen öffnen sich auf leichten Druck. Minimalismus und Detailreichtum werden auch in der Küchenplanung konsequent fortgeführt. Die Küche wirkt wie ein einziges Möbelstück. Anhand der in die Fronten eingefrästen Nuten lassen sich die Türen und Schubladen bedienen. Selbst der Backofen, gewöhnlich ein prägendes Element in der Küche, verschwindet unsichtbar hinter einer Schiebeklappe.

Das Lichtkonzept arbeitet mit weichen atmosphärischen Stimmungen. Die vertikale Ausrichtung der Lichtführung steigert die Wirkung des natürlichen Holzbodens. Verglaste Dachöffnungen im Bad und im Kaminbereich ermöglichen die natürliche Belichtung der innenliegenden Räume. Das künstliche Licht wird als indirekte Beleuchtung in Deckenöffnungen, in Schattenfugen, hinter eingezogenen Deckenschürzen sowie auch unter den Bänken verborgen. Die tief liegenden Leuchtmittel bieten eine sehr gute Entblendung und sind außerdem teilweise durch satinierte Scheiben gefiltert. So entstehen interessante und unerwartete Lichtstimmungen. Bei der Wahl der Lichtfarben wurde auf eine warme Farbgebung geachtet, die zur Wohnlichkeit beiträgt.

Text | Jürgen Brandenburger
Fotografie | Axel Nieberg

Planung | Nieberg Architect, www.nieberg-architect.de
Verantwortlicher Architekt | Axel Nieberg
Glas- und Metallbau | Langer Metallbau, www.langer-metallbau.com
Holzdielenarbeiten, Möbelarbeiten | Tischlerei Krüger, www.tischlereikrueger.de