Kernsanierung unter ökologischen Gesichtspunkten
Die Eigentümer eines 1974 ohne einen Architekten erbauten Einfamilienhauses wünschten sich einen geräumigeren Grundriss. Bisher sorgten kleine, enge und oft dunkle Zimmer, eine viel zu kleine Küche, ein langer, fensterloser Flur und ein zu großes Treppenhaus für den typischen Siebziger-Jahre-Charme. Der gültige Bebauungsplan ließ einen Ersatzneubau in gleicher Größenordnung, Ausdehnung und Kubatur nicht zu. Daher entschlossen sich die Bauleute zu einer Kernsanierung.
Um die Spielräume des strikt ausgelegten Bebauungsplans optimal auszunutzen, sah die Planung des Architekten den Anbau von Gauben vor. Das Ziel war, in einem modernen Wohnraum für eine fünfköpfige Familie die benötigte und erwünschte Wohnfläche zu schaffen. Die Gauben durften insgesamt höchstens ein Drittel der Breite des Hauses einnehmen. Erschwerend kam hinzu, dass es sich um mehrere Einzelgauben handeln musste. Die Bauvorschrift enthielt jedoch keine Angaben über Größe oder Deckung beziehungsweise Material. Auch Vorsprünge, Erker und an die Fassade angebaute Elemente waren erlaubt. So entstand die architektonische Idee zweier Einzelgauben in der vorgeschriebenen Größe, die sich als Vorsprünge wie zwei eingeschobene Türme über die beiden Hausgeschosse erstrecken. Diese Maßnahme sollte nicht nur den gewünschten Wohnraum schaffen, sondern auch das Erscheinungsbild des Hauses nachhaltig prägen. Nach langem zähem Ringen mit der Genehmigungsbehörde erging letztlich die Baugenehmigung.
Die Baumaßnahme der beiden turmartigen Gauben wertete das 70er-Jahre-Haus optisch auf, außerdem erweiterte sie die Räume im Obergeschoss beträchtlich. Im Erdgeschoss entstanden zwei moderne, stilgerechte erkerartige Ausformungen, die als gemütliche Sitzfenster dienen. Lage und Größe der beiden Sitzfenster ergaben sich durch die ehemaligen Bestandsfenster im Erdgeschoss. Um den gewünschten schwellenlosen und barrierefreien Zugang zum Haus zu gewährleisten, entstand im Eingangsbereich eine breite, optisch hervorgehobene Rampe. Diese führt zum Hauseingang und zur Tür der an das Haus angebauten Garage. Eine bedeutende Rolle in der Planung spielte das Treppenhaus. Das schlecht platzierte Bestandstreppenhaus erschließt jetzt nur noch das Kellergeschoss. Zum Obergeschoss hin entstand als zentrales Element eine neue Treppe, welche die beiden Hausgeschosse miteinander verbindet. Sie verschmilzt beide Ebenen miteinander und übt zugleich eine zonierende Funktion aus, indem sie den für Gäste zugänglichen vom privaten Wohnbereich trennt. Betreten wird das Haus über den Eingang mit Rampe und die anschließende Garderobe mit raumhohen Einbauschränken. Von hier gelangt man ins Gäste- bzw. Tages-WC und in die Küche.
Eine Kücheninsel mit Kochfeld und Spüle trennt diesen Bereich optisch vom vorgelagerten Esszimmer. Gegenüber dem Küchenblock aus diversen raumhohen Hochschränken führt eine Tür zum Bestandstreppenhaus in das Kellergeschoss. Dem Esszimmer gegenüber liegt das Wohnzimmer, optisch getrennt werden beide Räume durch die neue großzügige Treppenanlage. An das Wohnzimmer schließt sich das Elternschlafzimmer mit alleinigem Zugang zum Masterbad an. Ein Schiebeelement trennt dieses vom Schlafzimmer ab. Über die neue Treppe gelangt man ins Obergeschoss, in dem die Kinderzimmer, ein Bad und ein Arbeitszimmer untergebracht wurden. Im Kellergeschoss befinden sich Technik, Hauswirtschaftsraum und andere Räumlichkeiten. Parallel zum Hauseingang liegt neben dem Zugang zur Garage auch der zu einem Lagerraum für Gartengerätschaften. Das Gebäude erfüllt den KfW-85-Standard eines Neubaus und ist somit weitaus effizienter als der Sanierungsstandard. Der Plan, eine Wasser-Wärmepumpe zu installieren, musste jedoch nach mehreren erfolglosen Bohrungen eingestellt werden, da die Vorgaben bezüglich der Wasserqualität nicht erfüllt werden konnten. Stattdessen erfolgte der Einsatz einer Luft-Wärmepumpe. Das Gebäude wurde allseitig mit Mineralwolle gedämmt. Ein weiterer ökologischer Ansatz war der Verzicht auf eine Putzfassade. Auf Wunsch der Eigentümer und auf Anraten des Architekten sollte eine biozidfreie Beschichtung des Hauses erfolgen. So entschloss man sich für das Prinzip der vorgehängten hinterlüftete Fassade. Aluminiumschindeln wurden auf dem Haupthaus einschließlich des Daches verlegt.
Die beiden Gauben wurden mit Lärchenholzschindeln verkleidet, die bereits im Werk lasiert und vorpatiniert waren, um einer unregelmäßigen Vergrauung entgegenzuwirken. Die dreifach verglasten Holz-Alu-Fenster sind hochwärmegedämmt. Das Gebäude wird über Fußbodenheizung als Niedertemperatursystem beheizt. Das spart Energie und sorgt für eine gleichmäßige und angenehme Raumtemperatur. In Kombination mit einer Luft-Wärmepumpe stellt es eine effektive Wärmebereitung dar. Neben der langlebigen Konstruktion überzeugt auch der nachhaltige Gedanke. Bei der Sanierung wurden keine Verbundstoffe verwendet, Aluminium- und Holzschindeln und andere nachhaltige Materialien lassen sich später problemlos trennen und dem Materialkreislauf wieder zuführen. Vom Gedanken ökologischer Nachhaltigkeit geleitet erfolgte auch der Innenausbau.
Dabei wurde darauf geachtet, die Kernsanierung zu zeigen: Alle Böden erhielten eine Beschichtung mit Sichtzementestrich, der geschliffen und farblos eingelassen wurde. Alle Einbauschränke und andere maßgefertigte Einbauten wie Treppe, Küche und Wandtäfelung entstanden aus kostengünstigem Verpackungssperrholz, das teilweise weiß gestrichen wurde. Die Türen wurden flächenbündig in die Wandverkleidung integriert. Auch die Stahlträger, die aus statischen Gründen zur Abfangung entfernter Tragmauern eingezogen werden mussten, wurden bewusst sichtbar belassen. Der Rohzustand des Hauses bleibt so auch nach der Sanierung sichtbar.
Text | Jürgen Brandenburger
Fotografie | Jürgen Lehmeier, Eduard Klotz, Markus Vogt
Architektur | Büro für Bauform, Jürgen Lehmeier, Architekt & Innenarchitekt, www.bauform.net