Charles-Édouard Jeanneret-Gris
Architekt | Architekturtheoretiker | Stadtplaner | Maler | Zeichner | Bildhauer | Möbeldesigner | Fotograf | Designer | Urbanist |
Er ist einer der berühmtesten und einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts und unserer Zeit. Seine revolutionäre Denkweise, seine Ideen, Planungen und architektonischen Hinterlassenschaften setzen bis heute Maßstäbe, lösten jedoch von Anfang an auch sehr heftige Diskussionen aus, die bis heute nicht verstummt sind. Er ist und bleibt ein polarisierender und umstrittener Querdenker im Umfeld der Architektur und Raumgestaltung.
Wir kennen ihn unter dem Namen:
Le Corbusier
»Architektur ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper.«
Le Corbusier alias Charles-Édouard Jeanneret-Gris anlässlich der Eröffnung des Philips-Pavillons auf der Expo 1958 in Brüssel.
Le Corbusier ist sein Pseudonym, geboren wurde er als Charles-Édouard Jeanneret-Gris 1887 in der Schweizer Stadt La Chaux-de-Fonds.
Seine Wirkungsstätte verlegt der Schweizer 1917 nach Paris, 1930 wird er französischer Staatsbürger, 1965 verstirbt er im Alter von 78 Jahren im südfranzösischen Cap Martin bei Monaco. Der geniale Architekt, Stadtplaner, Maler, Farbgestalter, Möbeldesigner und Fotograf hinterließ bahnbrechende Werke. Sein architektonisches Schaffen lässt sich vor allem in Frankreich und in der Schweiz bewundern, aber auch in Ländern wie Belgien, Deutschland, Japan, Argentinien, Indien und den USA. Viele gegenwärtigen Tendenzen der internationalen Architektur finden in Le Corbusier ihren Vordenker.
Der Philips-Pavillon, eine Sensation auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel. Philips war einer der damals führenden Elektronik-Konzerne aus den Niederlanden. Der Pavillon ist ein Cluster von neun hyperbolischen Paraboloids, in dem ein Multimediaspektakel speziell für die Weltausstellung inszeniert wurde. Der spektakuläre Bau, der aus einem Stahlskelett entstand, war einer der meist beachteten Pavillons der Weltausstellung und ist in seiner skulpturalen Ausstrahlung bis heute unübertroffen.
Er ist der erste Architekt, der die Medien zur Eigendarstellung zu nutzen wusste und der seine Person wie kaum ein anderer vor ihm mit seinem Werk verknüpfte. Der Weltarchitekt, dessen Konterfei auch eine Schweizer Banknote ziert, war ein Mann der Selbstinszenierung mit einem besonderen Markenzeichen: seine markante runde Brille. Dank dieses Markenzeichens konnte er auf jeder Fotografie sofort identifiziert werden. Diese durchaus gewollte Aufmerksamkeit kam ihm und seinen genialen Arbeiten sehr gelegen. Andere große Architekten dieser Zeit waren durch ihre Arbeiten bekannt, wurden als Person jedoch kaum wahrgenommen. Le Corbusier war eine berühmte Persönlichkeit und konnte seine revolutionären Ideen dadurch umso schneller publik machen. Dass der Architekt seinen bürgerlichen Namen Charles-Édouard Jeanneret-Gris ablegte, um fortan Le Corbusier zu heißen, verrät viel über sein Kunstverständnis. Das Pseudonym wählte er 1920 in Paris in Anlehnung an seinen Großvater sowie seinen sehr geschätzten Lehrer aus der Kunstgewerbeschule L’Éplattenier. Omen est nomen: Frei übersetzt bedeutet Le Corbusier Verwandlungskünstler. Als er mit 21 Jahren nach Paris übersiedelte, hatte er längst erkannt, dass der ab 1900 erlernte Beruf des Ziseleurs und Graveurs, also das Gravieren und Verzieren von Ziffernblättern und Uhrengehäusen, dem sich schon sein Vater verschrieben hatte, nicht seine Welt war.
Seine Leidenschaft galt der Architektur und dieser wollte er sich widmen. Er gründete zum einen die Zeitschrift „Esprit Nouveau“, die sich mit Kunst und Architektur befasste, und zum anderen eröffnete er zusammen mit seinem Cousin ein Architekturbüro. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Mit provokanten Entwürfen machte er schnell auf sich aufmerksam, wie zum Beispiel mit dem zu der Zeit utopischen Plan eines autogerechten Paris’ oder einigen revolutionären Entwürfen von Ausstellungspavillons in der Weltstadt Paris. Nicht zu vergessen der spektakuläre Philips-Pavillon auf der Expo 1958 in Brüssel. Le Corbusier erkannte als erster Architekt, dass ein Haus industriell vorgefertigt werden kann. Als Material für das tragende Gerüst setzte er unter anderem Stahl ein. Er gilt damit als Vorreiter des späteren Fertighauses, auch wenn dessen statisches Gerüst oft aus Holz gefertigt wird.
Die 1916 erstellte Villa Schwob, auch Villa Turque genannt, stellt eine Trendwende im Schaffen von Le Corbusier dar. Auf Wunsch des Bauherrn, des Uhrenfabrikanten Auguste Schwob, sollte eine konventionelle klassizistische Fassade den Stahlbeton umhüllen. Trotz der klassizistischen Fassade zeichnen sich seine Prinzipien einer neuen Architektur, die er in den bekannten fünf Punkten definiert hatte, schon deutlich ab.
Neben der Architektur faszinierte Le Corbusier von Anfang an die Fotografie, die er als programmatische Macht des Wissens ansah. Großflächige Fotos und Abbildungen spielten eine wichtige Rolle für sein Werk. Er publizierte seine Theorien und Entwürfe, von denen nicht alle umgesetzt wurden, in vielen Büchern und Zeitschriften. Dabei legte er größten Wert auf großflächige Abbildungen seiner Entwürfe sowie auf die gestalterische, grafisch einwandfreie Umsetzung. Seine Vorstellungen davon, wie die Werke aussehen würden, ließ er in allen Entstehungsstufen ausführlich dokumentieren. In Lucien Hervé fand er für diese Zwecke seinen persönlichen Fotografen. Vorausschauendes Denken bewies er auch, als er Hervé ein Bildarchiv mit all seinen Skizzen und Zeichnungen anlegen ließ, auf das er jederzeit zugreifen konnte, um seine Ideen weiterzuverfolgen. Er baute als Erster seiner Zunft einen Presseverteiler auf, um die Printmedien mit Material zu versorgen und ständig im Gespräch zu bleiben. Genies aus anderen Bereichen wie Pablo Picasso oder Albert Einstein standen ihm als Berater, Diskussionspartner oder Freunde zur Seite und prägten seine Ideenwelt.
Le Corbusiers Lebenswerk gilt als
Gesamtkunstwerk und Le Corbusier machte sich selbst zur Kunstfigur.
Dom-ino-Haus
Bereits 1914/15 entwickelt Le Corbusier sein „Dom-ino“-Haus – ein Konzept zur einfachen industriellen Serienfertigung von Häusern: Das gerasterte Stahlbetonskelett gewährt Fassaden und Innenräumen größtmögliche Flexibiliät. Mit der Reduktion eines Hauses auf Decken/Böden und Stützen schuf er die Grundlage für industriell produzierbare Fertighäuser.
Fünf Punkte einer neuen Architektur
In den zwanziger Jahren präsentiert Le Corbusier das Fünf-Punkte-Programm seiner neuen Architektur: die Pilotis, die Dachgärten, die freie Grundrissgestaltung, das Langfenster, die freie Fassadengestaltung.
1. Die Pfosten („Pilotis“)
Der Beton- oder Stahlpfeiler übernimmt die statische Funktion der Mauer. Bauwerke werden von Pfeilern gestützt, der Boden wird frei nutzbar.
2. Der Dachgarten
Das Flachdach lässt einen zusätzlichen bewohnbaren Raum entstehen: die Dachterrasse. Der Dachgarten wird zu einem bevorzugten Ort des Hauses.
3. Der freie Grundriss
Da das Pfostensystem die Decken aller Stockwerke trägt, sind Planer für alle Stockwerke nicht an tragende Mauern gebunden, sondern können Grundrisse frei gestalten und Trennungswände nach Belieben verschieben.
4. Das Langfenster
Anstatt der bis dahin üblichen Hochfenster ermöglichen Horizontal-Schiebefenster eine maximale und gleichmäßigere Beleuchtung.
5. Die frei gestaltbare Fassade
Durch Vorschieben der Decken auf die tragenden Pfeiler wird die Fassade von tragenden Bauteilen befreit. Die Fassade ist frei gestaltbar, Fenster können beliebig ausgedehnt werden. Gemäß dieser fünf Punkte entwarf Le Corbusier unter anderem Häuser für die Mustersiedlung „Weissenhof“ in Stuttgart, wovon eines die erste Realisierung eines Hauses des Typs Citrohan darstellt.
Modulor
In den vierziger Jahren entwickelt Le Corbusier den Modulor, ein Proportions-System, das der Architektur eine mathematische Ordnung an die Hand gibt. Die auf menschlichen Maßen und dem Goldenen Schnitt basierende Maßlehre zählt zu den bedeutendsten Theorien der Architektur.
Albert Einstein stellt hierzu fest: „It‘s a tool that makes the good easy and the bad difficult.“ Frei übersetzt: „Es ist ein Werkzeug, welches das Gute einfach und das Schlechte schwierig macht.“
Zuerst legte Le Corbusier 175 Zentimeter, später 183 Zentimeter als menschliches Maß zugrunde. Von dieser angenommenen Standardgröße des menschlichen Körpers ausgehend markierte er Intervalle, die zueinander ungefähr in der Proportion des Goldenen Schnitts stehen. Seine Maße (die dem Goldenen Schnitt nur ungefähr entsprechen) betragen 1,13 Meter Bauchnabelhöhe und 2,26 Meter Gesamthöhe mit ausgestrecktem Arm.
Durch sukzessive Teilung des Modulors entsteht die blaue Reihe (226, 140, 86, 53 cm etc.). Aus der Nabelhöhe leitet sich die rote Reihe (113, 70, 43, 27 cm) ab. Die erste große Anwendung des Modulors findet man bei der Wohneinheit von Marseille, die vollständig nach Modulor-Maßen gebaut wurde. Eine weitere Wohneinheit findet sich unter anderem in Berlin. Das Maßsystem fand auch bei vielen anderen Entwürfen Corbusiers Anwendung.
Möbeldesign
Im „Salon d’Automne“ in Paris präsentiert Le Corbusier 1929 die gemeinsam mit Charlotte Perriand und Pierre Jeanneret entworfenen Stahlrohrmöbel, die bis heute als Designklassiker gelten und schon viele Nachfahren gefunden haben.
Die beiden Häuser von Le Corbusier in der Stuttgarter Weissenhofsiedlung sind zusammen mit weiteren Bauten des weltberühmten Architekten zum UNESCO Weltkulturerbe ernannt worden. Die Entscheidung fiel am 17. Juli 2016 auf der Tagung des Welterbekomitees in Istanbul. Den Antrag dafür hatten Frankreich, Argentinien, Belgien, Japan, die Schweiz, Deutschland und Indien gemeinsam eingereicht. Die sieben Staaten hatten sich gemeinsam dafür engagiert, dass das architektonische Werk des Architekten als außergewöhnlicher Beitrag zur Moderne mit einem Welterbetitel gewürdigt wird.
Zum Welterbe Le Corbusiers gehören 17 architekturgeschichtlich besonders bedeutsame Bauten und städtebauliche Ensembles. Für den deutschen Beitrag, die beiden Häuser in der Weissenhofsiedlung, zeichnen das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg verantwortlich.
Die Weissenhofsiedlung in Stuttgart, die 1927 unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe im Auftrag des Deutschen Werkbundes erstellt wurde, markiert einen Wendepunkt in der modernen Architektur. Der Name Weissenhof geht auf den Bäcker Georg Philipp Weiss zurück, der dieses Gelände seit 1779 bewirtschaftet hatte. Die Siedlung zählt zu den bedeutendsten Architektursiedlungen der Neuzeit.
Die Architekturfarben
Um unzählige Farben und Farbkombinationen zu rechtfertigen, stützen sich die meisten Menschen auf persönlichen Geschmack, auf neue Trends und Moden. Demgegenüber definiert Le Corbusier eine normierte und zeitlose Farbpalette. Wer sonst, wenn nicht Le Corbusier, hat die Legitimation für eine überzeugende Kollektion von Architekturfarben? Vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Praxis der Farbverwendung hält Le Corbusier fest:
»Die Suche nach Raum, nach Licht, nach Freude, nach Kraft, nach Gelassenheit lädt uns ein, die Farbe, Tochter des Lichtes, zur Hilfe zu rufen.« Le Corbusier
Die katholische Wallfahrtskirche Notre Dame du Haut der französischen Gemeinde Ronchamp zählt zu den Kultobjekten der modernen Baukunst.
Die Planstadt Chandigarh wurde Mitte des 20 Jahrhunderts gegründet. Den Auftrag erhielten zunächst die Stadtplaner Albert Mayer und der Architekt Matthew Nowicki. 1950 gab Mayer nach dem tragischen tödlichen Unfall seines Freundes Nowicki den Auftrag zurück. Auf persönlichen Wunsch des damaligen Ministerpräsidenten Indiens Jawaharlal Nehru erhielt Le Corbusier den Auftrag, die Stadt Chandigarh, frei übersetzt die „Festung der Göttin Chandi“, zu planen. Die Grundsteinlegung war 1952.
Unité d’Habitation, eine der ersten Groß-Wohneinheiten, deren Idee Le Corbusier bereits 1925 in Paris vorstellte. Die Grundsteinlegung erfolgte 1947 in Marseille, bezugsfertig war der Vorläufer der Plattenbauweise am 14. Oktober 1952. Der damals als geniale architektonische Idee gepriesene Skelettbau aus Stahlbeton hat 18 Geschosse, der Bau ist 138 Meter lang, 25 Meter breit und 56 Meter hoch. Wesentliches Element für die Planung ist ein Maßsystem, das auf dem „Goldenen Schnitt“ basiert. Le Corbusier nannte es „Modulor“und bezog die Proportionen des Menschen mit in die Planungen ein.
Mit seiner „Polychromie Architecturale“ entwickelt Le Corbusier einen theoretisch fundierten Ansatz, mit dem Entwürfe von Beginn an farbig gedacht werden können – ein Schlüsselwerk für den Einsatz von Farben überhaupt. Le Corbusier hat seine Farbpalette mit insgesamt 63 Farben in zwei Reihen geschaffen: die erste mit 43 Farben erscheint im Jahre 1931, 1959 perfektioniert er die „Polychromie Architecturale“ mit 20 weiteren wichtigen Farben – jeweils in Zusammenarbeit mit der Schweizer Tapetenfirma Salubra (siehe Bericht ab Seite 100). Le Corbusier schöpfte aus seiner genialen Schaffenskraft, fand aber auch als Weltenbummler viele Inspirationen: kaum ein Kontinent, den er nicht besuchte, viele Länder, in denen er neue Herausforderungen suchte, viele extravagante und exponierte Bauvorhaben, die er umsetzte, viele außergewöhnliche Persönlichkeiten, die er kennenlernen durfte. Eine ganze Reihe Ehrungen und Auszeichnungen konnte er für sein Werk entgegennehmen. Eine verlieh ihm postum sein Geburtsland, die Schweiz: das Porträt auf der 10-Franken-Note, die erstmals am 8. April 1997 ausgegeben wurde (Abbildung oben).
In fünf Punkten formulierte Le Corbusier Prinzipien seiner Auffassung einer neuen Architektur: 1. Die Pfosten („Pilotis“); 2. Der Dachgarten; 3. Der freie Grundriss; 4. Das Langfenster und 5. Die frei gestaltbare Fassade – ein revolutionärer Ansatz der modernen Architektur.
»Das Porträt auf der Vorderseite der 10-Franken-Note zeigt Charles-Édouard Jeanneret, genannt Le Corbusier (1887–1965), einen der bedeutendsten Gestalter unserer Zeit.« (Die Schweizerische Nationalbank)
Text | Jürgen Brandenburger
Fotos | © FLC/ADAGP