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L-förmige Gebäudekubatur nach der japanischen Wabi-Sabi-Lehre

Die Bebauung des fast 2000 Quadratmeter großen Grundstücks mit direkt angrenzendem Landschaftsschutzgebiet sollte sich nach Wünschen der Eigentümer stark von den angrenzenden Wohnhäusern abheben. Sowohl die Formgebung als auch die Materialität sollten einen individuellen Anspruch verkörpern. Als wichtiges Leitmotiv der Planung wünschten sich die Eigentümer eine minimalistische, Ruhe ausstrahlende Atmosphäre. Ein weiteres Ziel war, genügend Platz für eine vierköpfige Familie zu schaffen. Die Kubatur des Hauses sollte kein störendes Element innerhalb des Landschaftsschutzgebietes darstellen, sondern mit ihm eine enge Verbindung eingehen, damit eine Verschmelzung von Landschaft und Baukörper gelingt.

ach der Ausarbeitung verschiedener Entwürfe durch den Architekten entschieden sich die Eigentümer für ein L-förmiges Gebäude. Dieses zeigt sich zum Landschaftsschutzgebiet hin offen, macht zur Straßenseite hin jedoch einen verschlossenen Eindruck. Mit auf ein Minimum beschränkten Öffnungen wirkt die fast geschlossene Frontfassade unscheinbar und reserviert. Straßenseitig an eine Festung erinnernd vermittelt das Haus der Familie das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Das komplette Gegenteil stellt die rückseitige Gebäudekubatur dar, die sich zum Garten und zum Landschaftsschutzgebiet fast völlig öffnet. Zentrales Element ist hier der vorgelagerte Pool. Die Ausrichtung des Gebäudes orientiert sich am Sonnenverlauf, um eine optimale Sonnen- und Lichteinstrahlung zu gewährleisten. Die Architektur tritt so in Beziehung zur angrenzenden Landschaft. Dabei wird dem Landschaftsschutzgebiet gegenüber den umliegenden Wohnhäusern deutliche Priorität eingeräumt.

Auf ausdrücklichen Wunsch der Eigentümer zieht sich die Verwendung natürlicher Materialien durch den gesamten Entwurf.

Dass diese im Laufe der Zeit unweigerlich Patina annehmen würden, war bekannt und gewünscht. Dabei orientierte sich der Architekt an einer uralten japanischen ästhetischen Konzeptlehre, die eng mit dem Zen-Buddhismus verknüpft ist: Wabi-Sabi. Dieses japanische Ästhetik-Konzept beschreibt im Kern eine Ästhetik von Einfachheit und Unvollkommenheit. Ähnlich wie bei der Hygge, der dänischen Lebensphilosophie der Gemütlichkeit, geht es beim Wabi-Sabi um den bewussten Umgang mit den alltäglichen Dingen – aber auch um den Respekt ihnen gegenüber. Wörtlich übersetzt scheint der Name Wabi-Sabi nicht gerade zu seiner Bedeutung zu passen – „Wabi“ steht für traurig, verlassen, verloren und „Sabi“ für Alter, Vergänglichkeit oder Patina. Beide Begriffe zusammengenommen eröffnen jedoch eine neue, erweiterte Definition: Das Ideal liegt im Reduzierten, im Einfachen und im Gelebten, das sich in Unvollkommenheit und kleinen Mängeln zeigt. Die „verborgene Schönheit“ liegt hinter all dem oberflächlichen Glanz und Schein. Übersetzt auf das Einfamilienhaus heißt dies, dass die Schönheit der Materialien mit ihrem Gebrauch wächst.

Die individuelle Art fernöstlicher Schönheit verkörpert Natürlichkeit und den Verzicht auf äußeren Luxus zugunsten innerer Werte. Handwerklich robuste Materialien prägen das Gebäude sowohl außen als auch innen. Der Sichtbeton wurde in sogenannter Rauspundschalung aus vorderseitig gehobelten und rückseitig egalisierten Brettern klassisch ausgeformt. Er sorgt für eine beruhigende, aber gleichzeitig kraftvolle Wirkung. Damit setzt er einen ausgeprägten Kontrapunkt zur ihn umgebenden Struktur, ohne jedoch einen störenden Eindruck zu hinterlassen. Mit seiner warmen und beruhigenden Ausstrahlung ähnelt der Beton einem Sandstein. Um diesen Effekt zu unterstreichen, erhielt er eine hellbeige Einfärbung. Der Farbton wurde dabei durch die Auswahl der Zuschlagstoffe beeinflusst. Pate steht auch hier die Wabi-Sabi-Lehre mit ihrer Betonung des Unvollkommenen und Eigenständigen, das in Würde altern darf. Zur Straße hin wurden die freien Flächen mit anthrazitfarbenem Basaltsplitt aufgefüllt und damit betont sachlich gehalten. Eine Reihe japanischer Kirschbäume setzt dazu im Mai einen rosafarbenen Akzent vor der rauen Sichtbetonfassade. Die buschigen Ahornbäume neben dem Eingangsschlitz sowie im Atrium leuchten im Herbst feuerrot. Im Terrassenbereich bildet die mehrstämmige Felsenbirne einen feingliedrigen Gegenpart zum ruhenden Beton und erzeugt ein filigranes Schattenspiel auf der Fassade. Weißbuchenhecken begrenzen das Grundstück gegenüber den Nachbarn und verhindern eine direkte Einsicht. Weite Rasenflächen bilden den Übergang zum Landschaftsschutzgebiet und dessen altem Baumbestand. Mit dem Atrium ist die klassische Diele dabei in den Außenbereich verlegt.

Das Atrium ist von der Straße her über einen klar definierten Mauerschlitz betretbar, zu dem ein ausladender Betonzugangsweg führt. Im hinteren Bereich erlauben die bodentiefen Schiebefenster den schwellenlosen Zugang auf die Terrasse bzw. in den Garten. Dort bieten auskragende Loggien einen konstruktiven Sonnenschutz. Die Wohnfläche umfasst insgesamt etwa 330 Quadratmeter. Einer klassischen Aufteilung des Grundrisses folgend befinden sich im Erdgeschoss die halböffentlichen Räume wie Wohn- und Esszimmer sowie die Küche. Eine Sichtbetontreppe führt ins Obergeschoss, in dem die privaten Räume wie Eltern- und Kinderschlafzimmer, Sanitärräume und Ankleide untergebracht sind. Die Galerie dient mit ihrem raumgreifenden Schreibtisch als zusätzlicher Arbeitsplatz für die Kinder. Das Obergeschoss ist von einer Loggia umgeben, die mit ihren auskragenden Betonplatten einen konstruktiven Sonnenschutz bildet. Zusätzlich bietet eine großzügige Dachterrasse einen Sonnenplatz in den Abendstunden. Im Kellergeschoss sind weitere Funktionsräume untergebracht. Der Keller wurde als „weiße Wanne“ ausgeführt und erhielt eine zusätzliche Bitumenabdichtung. In fast alle Nischen und Ecken sind maßgefertigte Schränke und Regale eingebaut, die vom Architekten entworfen und von einem ortsnahen Tischler angefertigt wurden. Die weißen Schränke bieten viel Stauraum. Da sie flächenbündig eingebaut sind und sich ohne Griffe mit Push-to-open-Beschlägen öffnen lassen, fügen die Schränke sich optisch nahtlos in die Innenarchitektur ein. Die ebenfalls maßgefertigten Küchenmöbel aus massiver Douglasie sind dunkelbraun gebeizt und heben sich so vom weiß geseiften Boden ab. Die akzentuierende Beleuchtung erzeugt einen interessanten Wechsel zwischen hellen und dunklen Flächen und unterstützt so die architektonischen Wirkungen des Raumes.

Für stimmungsvolle Lichtszenarien wurden alle Leuchten mit Dimmern ausgestattet. Die Einbauleuchten wurden so in die Sichtbeton­decken eingelassen, dass sie blendfreies Licht erzeugen. Dabei wurden effiziente Halogenleuchtmittel als Grundbeleuchtung verwendet. Die linienförmigen Außenleuchten sind als LED-Lichtleisten mit zusätzlichen Farbfiltern ausgestattet. So entsteht auch im Außenbereich ein angenehmes warmes Licht.

Text | Jürgen Brandenburger (in Anlehnung an die Baubeschreibung des Architekten)
Fotografie | Axel Nieberg
Planung | Nieberg Architect, www.nieberg-architect.de
Verantwortlicher Architekt | Axel Nieberg
Glas- und Metallbau | Langer Metallbau, www.langer-metallbau.com
Holzdielenarbeiten | Tischlerei Brandes, www.tischlerei-brandes.de
Möbelarbeiten | Tischlerei Krüger, www.tischlereikrueger.de

Holzböden laugen und seifen nach skandinavischer Art

Anstatt unbehandelte oder unversiegelte Holzoberflächen einzuölen, wird das Holz zuerst mit einer Lauge behandelt. Anschließend wird eine Seife aufgetragen. Die Lauge sorgt dafür, dass sich die Poren des Holzes öffnen und die Seife besser in die Oberfläche einziehen kann. Ein angenehmer Nebeneffekt, der beim Laugen von Dielenböden auftritt, ist, dass diese einen helleren und freundlicheren Farbton annehmen. Das Einseifen des Holzbodens verleiht dem Holz nicht nur den notwendigen Schutz vor Schmutzflecken, sondern schützt den Boden auch vor Austrocknung. Damit der Boden einen soliden Schutzfilm erhält, muss er jedoch mehrmals eingeseift werden. So wird das Holz ständig erneuert und nachhaltig verbessert. Ein weiterer Vorteil dieser Technik ist die einfache Handhabung. Auch bei kleinen Reparaturen oder Renovierungen lässt sich dieses Verfahren sehr gut einsetzen. Ein mit Seife behandelter Boden bedarf nur wenig Reinigung.